Bergzeitfahren Schotten 2009 — der Film

Ein ganz wenig übertriebener Gastbeitrag von Reni

Wenn dies ein Film zum Thema wäre, so würde über einem kühlen Herbstsonnenaufgang die flächig angelegte, heroische Musik langsam aufwallen, entsprechend dem am Horizont auftauchenden einsamen Radfahrer, der trotz kühler Witterung die Trainingsstunden nicht ausfallen lassen kann, wo er doch wegen überstandener Krankheit kämpfen muss, verbissen, verzweifelt, um sein Saisonziel 2009 noch zu erreichen.

Er ist nicht mehr der Jüngste, doch ein Vorbild für die Jugend, der nicht nur im sonnigen Mallorca, sondern auch im Alltag und bei Regen seine Runden dreht, kein Sunnyboy, kein Blender. Die Musik drückt das alles aus, emotional, den gerechten Kampf kämpfend, um die letzte Chance ringend. Wir denken an Rocky, an Hollywood.

Tja, gut dass wir nicht im Kino sind, lange lässt sich so was nicht ertragen. Aber es ist was dran, für Cosmas, dem sein 40. Geburtstag Ende August das Altersglöcklein läutete, wird eines der nächsten Jahre das letzte sein, in dem er sich noch in der Eliteklasse Chancen auf Podiumsplätze ausrechnen darf. Und das ist für ihn bitterer als für andere, die früher mit dem Rennsport angefangen und systematischere Karrieren hatten. Denn als Cosmas 3 mal in Schotten das Bergzeittrikot gewonnen hatte, dämmerte ihm langsam, dass er mit einer hessischen Rennlizenz Hessischer Meister im Bergzeitfahren geworden wäre. 2008 hat er sich deshalb vom Vorwärts Orient Mainz zum RSC Wiesbaden umgemeldet und versuchte 2009 nun, seinen bisher größten Erfolg einzufahren. (Hier: düstere Spannungsstreicher, langsam pulsierende Perkussion...)

Der Wechsel zum RSC war teuer (Ablösegeld), aber einfach, die erste Hürde war im Herbst 2008 geschafft. Da schlug das Alter im Dezember zum ersten Mal zu: Beinschmerzen, die anfangs lästig, dann zu Rückenschmerzen ausgedehnt, unerträglich wurden und in Wellen zu- und abnahmen. Das bedeutet bei jeder Besserung Hoffnung, die jedes mal enttäuscht wurde. Nach einem unnützen Krankenhausaufenthalt im März in der Schmerzklinik Mainz wurde schließlich im Mai von einem Wiesbadener Radsportkollegen, der Rückenspezialist im JoHo ist, ein CT angeordnet und daraufhin die Operation dringend angeraten. Also unters Messer.

Die ganze Geschichte mit Schlaflosigkeit und Erschöpfung durch Schmerzen, Hoffen und Bangen, Mutlosigkeit (alles, was Hollywood braucht) ertrug Cosmas mit der für ihn typischen "Geduld": Wer ihn kennt, hat schon unter ihr gelitten. Ich möchte die Zeit mit dem unleidlichen Patienten gerne missen. Frau kann sich nicht ewig beherrschen, dem Leiden irgendwann ein schnelles Ende zu bereiten. Hätte Cosmas ein Testament zu meinen Gunsten und wäre dann noch eine Waffe im Hause gewesen, die Operation hätte sich für alle Zeiten erübrigt...

Der blasse, untrainierte Kerl vom Winterhalbjahr hat sich dank der unermüdlichen Unterstützung seiner Lebensabschnittspartnerin wieder an seine alte Form angenähert, Tapferkeit angesichts eines harten Schicksals lohnt sich, die Hoffnung steigt, erste kleine Erfolge stellen sich ein. Das Paar, das die harte Bewährungsprobe der Krankheit überstanden hat, ist glücklich über die Entwicklung und blickt mit Zuversicht in den Herbst. Glücklich-optimistische Tapferkeitsmusik.

Mehrere Monate Schmerzen und Trainingsausfall schienen tatsächlich durch Training kompensiert worden zu sein, zumindest bei Cosmas. Ich hatte auch aus Mangel an Trainer/Anpeitscher weniger trainiert, und bin öfter mit Cosmas gewandert (noch was, was ich sehr gerne missen werde). Ich habe das ganze Jahr Defizite gemerkt, Cosmas fing schon wieder an, Bergzeitfahren zu gewinnen und auch bei flachen Einzelzeitfahren gut abzuschneiden. Die Welt ist ungerecht, dachte ich, und seufzte tief.

Der Tag der Tage näherte sich, ich hatte eine gesunde Einstellung zu meinem Rennen gefunden: ich bin schließlich bald 42, da muss ich nix mehr beweisen, nur nicht letzte werden. Bei Cosmas ist der Druck aus bekannten Gründen etwas höher, alle möglichen Bekannten fragten beiläufig, ob er es denn wohl dieses Jahr wieder schaffen wird...?

So jähzornig Cosmas sein kann, so euphorisch kann er auch sein, aber Euphorie hatte ich dieses Jahr nicht vor dem Schottener Termin bemerkt, ob das ein gutes Zeichen für die Psyche oder ein schlechtes für die Physis ist?

Das Rennen

Die armen Jedermänner- und frauen müssen schon ab 11 Uhr starten, durch ein Brieflein an die Veranstalter konnte ich den späten Startplatz um 12:13 Uhr kriegen, sonst wäre der Zug um 6:39 Uhr die einzige Möglichkeit für mich gewesen. 8:39 Uhr ist doch viel ziviler. Eines ist sicher: die Anfahrt per Zug ist nicht nur bequem und ökologisch, und die restlichen Kilometer vom Bahnhof Nidda zum Start sind auch ideal als Aufwärmphase für ein Bergzeitfahren.

Cosmas kommt schon am Morgen mit nach Schotten, obwohl er erst 4 Stunden nach mir starten muss. Die Wartezeit wollen wir am Ziel, oben an der Taufsteinhütte verbringen.

Erster Teil des Tages: das Einzelzeitfahren der Jedermänner, alle 30 Sekunden ein Starter. Eine professionelle Startrampe mit Sattelfesthalter für den Start und Zeitkontrolleur, der die große Uhr unterstützt, indem er per Handzeichen die letzten Sekunden rückwärts zählt... dazu aufpeitschende, spannende Musik, jetzt geht es um die Würste, Action steht an, der Kampf gegen die Uhr, jetzt zeigt sich, wer das härteste Training und die besten Beine hat. Fünf, vier, drei, zwo, eins, los! Hämmernde Musik, passend zum Puls, es muss gleich volle Pulle gefahren werden, bei 8 Kilometern kann frau sich keine Trödelei leisten. Stöhnen, war das schon immer so steil, gleich am Anfang? Da taucht jemand auf, gehört der zum Rennen? Und vorbei, der hat sich nur aufgewärmt. Ein Blick auf den Tacho, erst 2,7 km, die Steigung geht bis 5,6 ungefähr, dann wird es flacher. Da, die Frau vor mir hat eine Startnummer vor mir, die krieg' ich noch. Eingesackt! Da taucht bald noch eine auf. Zäh ist es, hart, aber ich komme ihr näher, will überholen gerade als es etwas flacher wird. Sie keucht weniger als ich, sieht mich und zieht auch an, wir sind auf gleicher Höhe, ätzend, wieso komme ich nicht vorbei? Ich gebe alles, ich will jetzt vorbei, sie ist rechts nicht mehr zu sehen, kann ich einscheren? OK, weiter, nicht nachlassen. Nach einem kurzen Gefälle zieht es wieder leicht an, was nach dem Gefälle um so mehr schmerzt, da taucht meine Rivalin links von mir auf. Ich habe noch die Puste zu fragen, ob das nicht der Windschatten war, sie widerspricht, wir kämpfen zäh, Seite an Seite, überholen so noch einen U13-Fahrer, da kommt der Parkplatz mit dem Ziel rechts in Sicht, ich will sie nicht vorbeilassen, wir kämpfen, lässt sie mich vor oder habe ich mehr Körner? Ich weiß es nicht, fahre kurz vor ihr ein, muss gleich anhalten und stülpe meine Lungenflügel um, etwas fummelt an meinem Bein, mir wird der Transponder abgenommen, ich kann mich kaum bedanken, ich rolle aus, an Zuschauern vorbei...

Ich treffe Katja noch beim Ausrollen, das ist eine nette Person, die ist sicher nicht Windschatten gefahren. Wir plaudern noch kurz, sie meint, sie hätte Cosmas und mich letztes Jahr mal bei einer RTF am Pulk vorbei den Berg hochfahren sehen. Ich seufze, ja, wenn das letztes Jahr war, das kann sein.

Am Ziel ist ein großer Platz mit Sitzbänken und einem Futterstand, es gibt Pasta, Pommes, Würstchen, Kuchen, Kaffee... da ist Cosmas wie immer zu finden. Er ist wohl kaum langsamer als ich hochgefahren, mault in seiner charmanten Art, ich hätte mich wohl nicht angestrengt, ich hätte ja nicht mal geschwitzt, mal sehen, was dabei raus kommen kann. Der Herr hat aber nicht bedacht, dass die ambitioniertesten Damen heute mit Hessen-Lizenz in der anderen Klasse fahren, Reni hat damit glücklich den ersten Platz bei den Jederfrauen, bei den Lizenzfahrerinnen wäre das Ergebnis peinlicher ausgefallen, reden wir nicht darüber.

Mein Start: 12:13, Cosmas' Start: 16:00 Uhr. Da ist noch genug Zeit zu schwatzen mit den alten Bekannten, die man herzlich begrüßt, schließlich sieht man sich jedes Jahr einmal hier. Würde ich die Leute woanders treffen, würde ich sie erkennen? Nach viel Trödelei und dem Genuss der mitgebrachten Sportler-Spezialnahrung (Reisbrei) für Cosmas scheint die Zeit gekommen für das eigentliche Ereignis des Tages, die Hessenmeisterschaften. Wir verhandeln kurz, natürlich kann ich noch mitkommen zum Start, um dort das Aufwärmtrikot und die leere Geltüte einzustecken, vielleicht auch noch: "Beiß du Sau" zu rufen, sollte das etwas nützen. Wir müssen die 300 Höhenmeter runter zum Start, nach ca. 50Hm fällt Cosmas ein, dass Transponder und Startnummer noch im Rucksack in der Skihütte oben sind. Das bringt noch etwas Leben in die viel zu harmonisch gewordene Situation: Reni kämpft sich gegen die Massen von Zuschauern, die noch im Zielbereich stehen zum Rucksack, findet endlich alles, kämpft sich wieder zurück, da steht er schon, der motzende Cosmas, wieso das so lange dauert. Beste Voraussetzung für eine sichere Hand bei der Befestigung der Startnummer mit spitzen Nadeln, sage ich. So jagt ein Scherz den anderen, bevor wir uns eilig auf den Weg machen können...

Am Start mit der tollen Rampe sehe ich noch andere RSC Fahrer, Evgeni, der sich nicht mehr weiter aufwärmen will, weil Berge nicht seine Spezialität sind, und Alex, der trotz Beschwerde bei der Rennleitung keine neue Startzeit bekommt, obwohl er doch seine offizielle Startzeit aus gutem Grund verpasst hat (das nehme ich an, ich bin selber schlampig und habe Verständnis).

Ich kriege noch Evgenis Jacke und Cosmas' Trikot, warte, bis der letzte Starter kurz nach Cosmas um 16:05 Uhr weg ist, bedanke mich für die perfekte Organisation bei der Rennleitung und fahre los. Cosmas hole ich nicht ein, hab ich mir gedacht, also piano. Die zwei Fotografen auf der Strecke wollen nacheinander vor mir in die Knie gehen, ich winke ab und teile ihnen mit, dass ich nicht zum Rennen gehöre und auch niemand mehr startet. Beim zweiten Fotografen muss ich kurz anhalten, weil er mich nicht verstanden hat. Als ich oben ankommen, habe ich nur wenig länger gebraucht als vorhin beim Rennen. Komisch.

Aber egal. Wie geht es Cosmas? Wieso sehe ich ihn nicht am Kuchenstand? Da stimmt was nicht, oder?

Endlich taucht er auf, kommt auf mich zu mit den Worten: Erster Verlierer! Komisch, ich hätte mir die Situation dramatischer vorgestellt, wäre ja nicht das erste Mal, dass er sein Rad verärgert ins Gras wirft, dahin, wo hoffentlich keine Steine sind, und schreit und vor Wut brüllt. Nee, er ist etwas ruhiger geworden, ich möchte fast sagen... erwachsener??

Der Lebenstraum – dahin. Die Niederlage ist da, die letzte Chance - dahin. Der Sieger – ein junger Kerl wirkt arrogant. Cosmas – am Ende. Die Streicher jaulen klagend auf, die Zuschauertränen hochdrückend. Das Paar, das so viel durchmachen musste, schaut sich hilflos an, kann es noch nicht fassen. Soll alles verloren sein? Ihr Traum, für den sie alles gegeben haben in den letzten Jahren? Sie sehen sich tiefer in die Augen und wissen beide: wichtig ist, nicht alleine zu stehen, sie haben sich und das soll jetzt ihr Trost sein. Sie wird nun doch gegen den Willen des Vaters bei ihm bleiben, den reichen Erben mit Villa nicht heiraten. Die Geigen kommentieren gerührt und lassen auch das letzte Auge überfließen...

Ächz, nein, Schnitt, vorbei, so war es nicht und ich kann die Kino-Einsprengsel auch nicht mehr ertragen. Das ist ja schrecklich. Da ist mir die Wirklichkeit doch noch lieber: Cosmas wird nächstes Frühjahr wieder anfangen zu giften, wann ich denn gedenke, mich für die Saison vorzubereiten, er hätte schon soundsoviel Trainingskilometer, und ob ich wohl endlich meine Radklamotten anziehen würde, um den Taunus unsicher zu machen. Alte Gewohnheiten dauern lange, bis frau sie ablegen kann, deshalb gibt es nächstes Jahr auch Rocky XV.


Cosmas Lang