Mit neuer Taktik zur Holzmedaille oder: Cosmas beim Kaunertaler Gletscherkaiser 2006

Nachdem ich ja früher immer das Problem hatte, zwar weit vorne zu starten, aber ruck-zuck trotzdem nach hinten durchgereicht zu werden, habe ich diesmal - auch nach positiven Erlebnissen in Gerolstein und Provence - mal Reinhards Tipp "Du musst halt ganz vorne fahren" konsequent umgesetzt.

Ein paar komische bis herablassende Blicke bekam ich zwar schon von den super-coolen Radsportlern in der ersten Reihe, als ich mich dreist direkt an der Startlinie aufstellte, aber das war mir einfach egal.


Nach dem Startschuss geht's hinter dem Führungsfahrzeug vom Parkplatz der Landecker Seilbahn links auf die Haupstraße Richtung Kaunertal. Zwar drängelten sich in der Kurve natürlich wieder einige vorbei, auf der geraden Straße ging ich aber recht problemlos wieder nach vorne und war hast-Du-nicht-gesehen am Ende einer 4 Fahrer langen Einerreihe direkt hinter dem Führungsauto.

Und da blieb ich dann mehr oder weniger auch, denn offenbar hatte keiner von den knapp 200 Fahrern hinter uns Lust, da vorne rumzuturnen. Der Veranstalter hatte vorher gemeint, die neutralisierten 2 oder 3 km durch Landeck hinter dem Auto würden "so gefahren, dass sich hier noch niemand überanstrengen muss", aber das Tempo war schon ganz ordentlich, immer um die 40. Nach der Freigabe des Rennens am Ortsausgang mit der ersten kleineren Steigung änderte sich daran auch nicht viel. Ebensowenig daran, dass ich zusammen mit dem späteren 3. des Rennens, Oswald Weisenhorn aus dem Vinschgau, allein mich an der Spitze abwechselte. Sobald einer von uns beiden das Tempo rausnahm und nach links ausscherte, passierte - nichts. Oder aber der ganze Trupp zog langsam lückenlos rechts vorbei, so dass wir uns nur ganz hinten wieder einreihen hätten können; darauf hatten wir natürlich auch nicht viel Lust und fuhren statt dessen doch wieder an die Spitze. So hatte ich mir das mit dem "vorne fahren" ja auch wieder nicht vorgestellt. Aber die stellten sich einfach stur: keiner wollte im Wind fahren, oder wenn doch, dann als Bremser für die Vereinskumpel weiter hinten oder was weiss ich.

Nach 14 km ging's leicht bergab in einer scharfen Linkskurve nach Prutz, wo das eigentliche Kaunertal anfing. Bis hierher war ich nie weiter hinten als an 3. oder 4. Position gefahren, 200 Höhenmeter waren zurückgelegt bei einem beachtlichen Schnitt von exakt 39,8 km/h, und noch immer war fast alles zusammen. Und prompt gab's bei der Kurve den ersten Sturz auf der Innenseite, ich fuhr aussen, musste aber bremsen und mich in den engen Ortsgassen wieder durch rund 30 Fahrer nach vorne arbeiten.

Endlich ging's etwas spürbarer bergauf, und ich dachte, jetzt geht mal das Rennen los. Aber nix, im Gegenteil. Es wird geplaudert, keiner mag am Lokalmatador Andreas Traxl vom Team Ridley (ehemaliger Österreichischer Bergmeister) vorbei. Also geht das Spiel weiter, nur dass Oswald und ich jetzt auch nicht mehr richtig "führen", sondern wir halt abwechselnd meist nebeneinander fahren. Vor uns aber nach wie vor will keiner.

(Damit jetzt aber nicht der Eindruck entsteht, das Ganze wäre nur eine Kaffeefahrt gewesen: es wurde zwar getrödelt, aber eben mit Puls 165-170 bei mir. Also schon flott, wenn auch kein echtes Renntempo).

Dem Oswald (dachte die ganze Zeit dem Akzent nach, er sei aus der Schweiz, ist aber ein Italiener... Soll einer durchblicken da unten) wurde das auch lästig. Als wir durch einen kaum beleuchteten Tunnel fuhren, dachte ich mal kurz dran, mich dort im Dunkeln abzusetzen. Spaßeshalber fuhr ich ein bissel schneller, war aber dann doch überrascht, als ich rauskomme, dass da tatsächlich 50 m Lücke aufgerissen sind. Nee, aber es sind noch 1800 Höhenmeter zu fahren, das ist mir doch zu früh. Also warte ich lieber auf den Rest... Vielleicht hätte ich es trotzdem probieren sollen, Oswald wäre sicher mitgekommen, und dann wäre das Rennen sicher ganz anders verlaufen, wenn auch nicht unbedingt besser vom Ergebnis her, dann doch interessanter.

So fuhren wir also ungefähr bis km 20 dahin, nicht zu schnell, trotzdem nach einigen Hügeln doch schon auf ca. 30-40 Fahrer reduziert.

Bei der ersten "Labestation" an der Maustelle fahren wir mit großem Hallo locker durch, einer am Verpflegungsstand versteht mein Kopfschütteln auf den Ruf "Wasser?" falsch und schüttet mir einen Becher mitten ins Gesicht. Traxl neben mir lacht: "Du musst wohl besonders durstig aussehen!" Ich finde es weniger lustig, so warm ist es gar nicht, und mit den Tropfen auf der Brille sieht man auch nicht besser.

Und dann geht's plötzlich los: eine herbe Attacke von Traxl an der ersten scharfen Kante. Huch, ziehn die da ab! Da kann ich selbst bei Puls 195 nicht mithalten. Die Spritzigkeit habe ich einfach nicht - vielleicht sitzen mir auch die 600 km Provence vor 14 Tagen noch in den Knochen. Sofort falle ich ein paar Meter zurück und denke, meine Top-Ten-Platzierung ist damit wohl Geschichte. Aber nach 1, 2 Minuten ist der Spaß schon wieder vorbei, das Tempo wird gedrosselt und ich komme wieder ran. Wohl nur ein Test gewesen? Als ich mich umblicke, sehe ich aber, dass die Aktion nicht ganz umsonst war, etliche sind rausgefallen. Und sowas soll sich jetzt noch einige Male wiederholen. Obwohl ich arge Probleme mit den Tempowechseln habe, kann ich mich im Gegensatz zu anderen doch immer wieder rankämpfen und dann etwas "erholen" (na ja, Puls 175 statt 180 oder 190 ist nicht wirklich erholsam), versuche sogar selbst ein paar Antritte. Jetzt sind wir kurz vor dem Stausee nur noch etwa 15-16 Fahrer, dahinter eine große Lücke.

Aber als sich die Steigung zur Staumauer wie eine Wand vor uns aufbaut, werde ich endgültig abgehängt (denke ich). Vorne rasen noch 6 Leute den ziemlich harten Anstieg hoch, einen weiteren rausgefallenen hole ich ein, er hängt sich dran. Na, das wird nicht gutgehen, denke ich.

Am Stausee würde ich gerne etwas langsamer machen. Hier geht es rund 6 km praktisch flach am See entlang, die 5 oder 6, die schon gut 500 m weg sind, werden hier mühelos ihren Vorsprung ausbauen können und dann entspannt in den finalen Anstieg mit den zweiten 1000 Höhenmetern reinfahren. Aber der Kompagnon, der eben am Anstieg noch so gekämpft hat, will unbedingt das Tempo forcieren. "Das bringt doch nix, ruh' Dich lieber vorm Anstieg aus". Will er nicht. Also gut, rasen wir also wieder mit Tempo 40 durch die Landschaft, Puls weiter über 170, ich muss mich rügen lassen, ich würde bremsen, wenn ich vorne bin. Stimmt gar nicht, ich kann halt nicht mehr schneller! Ich würde ihn gerne fragen, wieso er denn auf den ersten 30 km nicht mal geführt hat, leider fehlt mir die Puste. Warte nur, mal sehen, wer gleich am Anstieg abkackt!, denke ich.

Bevor es endgültig nur noch rauf geht, geht's nochmal geschwungen runter, und da tauchen doch tatsächlich die 6 Ausreisser auf! Mühelos holen wir sie wieder ein - es wird offensichtlich mal wieder gebummelt. Versteh' einer die Welt! Zu dem Kompagnon von eben sage ich grade noch: "Glaube ja nicht, dass das eine gute Idee war, die sind jetzt ausgeruht und werden uns abziehen" - und da tritt Traxl (auf dem Bild vorne in rot, ich bin ganz rechts mit der Nummer 334) auch schon wieder an. Das war's für die Gruppe. Viel zu schnell für mich, und auch Oswald von vorhin bleibt bald etwas zurück.

Ab jetzt beginnt ein Zeitfahren über die letzten 8 km und 900 Höhenmeter. Der Kompagnon von vorhin keucht noch kurz, dann ist er weg. Einen weiteren der vormals 6 überhole ich, dann Oswald, doch der wehrt sich, zieht tatsächlich das Tempo nochmal an und entfernt sich wieder von mir. Traxl sehe ich gar nicht mehr, aber der Abstand zum 2. bleibt relativ konstant.

Leider geht es mir nicht mehr so gut wie vor einem Jahr (obwohl mir damals vor dem Stausee der Schaltzug gerissen war und ich nach 15 Minuten Zwangspause nur noch im 2. Gang, also 34/21, fahren konnte), ich fahre fast nur noch 34/23 und der Puls mag nicht mehr über 175, was eigentlich auch genug ist nach fast 2 Stunden. Hinterher dachte ich mir, dass ich vielleicht an Oswald hätte dranbleiben können - ein Motivationsproblem?

Etwa in der Hälfte des Schlussanstiegs gab's nochmal Trinkflaschen gereicht - diesmal war das Tempo gering genug, dass die Übergabe auch klappte. Super! Noch immer hoffte ich, dass Oswald sich vielleicht übernommen hatte (hatte ich ihn nicht schon einmal eingeholt) und ich mit einem "Schlusssprint" auf den letzten 200 Höhenmetern ran und vorbeikommen könnte. Aber wie so oft: mein HAC 4 zeigte über 100 m zu wenig an, auch die km-Angaben stimmten nicht, und als ich das Schild "Ziel 1000m" sah, war Oswald unerreichbar weit weg. Das wird nix mehr.

Also verzichte ich auf einen Sprint und fahre mit 40 Sekunden Abstand auf Oswald und rund 4 Minuten auf Traxl als 4. ins Ziel ein, macht den 3. Platz in der Altersklasse, da nur der Zweitplatzierte wesentlich jünger war.

Erstaunlicherweise ist meine Zeit nicht besser als die reine Fahrzeit letztes Jahr trotz Panne und Schleichtempo am See wegen fehlender großer Gänge. Auch Traxl hat über 10 Minuten mehr gebraucht als der letztjährige Sieger. Und ganz so glanzvoll, wie der Veranstalter ihn bei der Siegerehrung 2 Stunden später preist ("die Gegner quasi deklassiert") kann ich seine Vorstellung trotz unbestritten grandioser Bergleistung am Schluss nicht finden. Für einen Favoriten hätte er ruhig auch mal bei der Führung mithelfen können, finde ich.


Na ja. Das nächste Mal versuche ich, vorne, aber nicht ganz vorne zu fahren...

Hier die Ergebnisliste

Bilder vom Rennen

Schöne Beschreibung der Kaunertaler Gletscherstraße mit Bildern bei quaeldich.de
Cosmas Lang