Kaunertaler Gletscherkaiser 2007 oder die Gnade der frühen Geburt: Renis Rennen

(alternativ: Cosmas' Version)

Wer 2007 noch keinen Pass in den Beinen hat, der kann trotzdem gleich ein Bergrennen in den Alpen fahren, wenn er oder sie fleißig in Rheinhessen trainiert hat. Das war die Idee, mit der Cosmas und ich am 16.06., einen Tag vor dem Start des Kaunertaler Gletscherkaiserrennens, nach Landeck in Tirol fuhren. Wem das aufstößt, dem geht es so wie mir, mir war mulmig. Knapp 2000 Höhenmeter auf 41 km, mit längeren Flachstrecken und einigen steilen Anstiegen, kann ich das schon? Und wenn ich hoch komme, werde ich dann letzte?

Anfahrt

Die Bahnfahrt mit Cosmas ist so angenehm wie eine 7-Stunden Bahnfahrt eben sein kann: der IC 119 mit geräumigen Fahrradabteil fährt direkt nach Landeck-Zams, keine Umstiege notwendig. Allerdings braucht man Nerven, wenn ständig Main-, Rhein- oder Moselradler ein- und aussteigen, mit Unmengen von Gepäck und weder der notwendigen Koordination noch Kraft um ihre schweren Alurosse zu rangieren. Ihre Devise ist: erst mal einsteigen und mein Rad möglichst allen in den Weg stellen, dann nach dem Rest meines Gepäcks suchen. Der Zug muss eigentlich immer Verspätung haben, manchmal kann ich sogar Mehdorn verstehen, wenn er die Radler rausekeln will...

Um nicht noch weitere Verspätung einzufahren, und aus Langeweile helfe ich oft den Flachradlern. Eine nette Dame mittleren Alters (also mindestens 8 Jahre älter als ich) fragt mich: „Was macht Ihr, den Inntalradweg?“ Also entweder muss ich mein Outfit verändern oder die Leute sind einfach so beschränkt, Radfahrer = Flussradler, was anderes gibt es nicht.

Ankunft

Weil wir die Startunterlagen nicht mehr am 20km entfernten Startort abholen können, hat der Veranstalter zugesagt, die Beutel bei unserer Zimmerwirtin abzugeben, so nett sind die in Österreich. Die Beutel kommen auch kurz nach uns an: obligatorisches Hemd mit Kaunertaler-Aufdruck, Gel und Riegel, Gutschein für Pasta auf 2751m (raffiniert, nur wer oben ankommt, kriegt was zu essen), Naschwerk und der Transponder, sonst keine Information. Nun sind wir beide ja nicht mehr die jüngsten, ab und zu vergisst man schon mal was: wir können uns nicht einigen, ob 10 oder 10:30 Uhr Start ist. Da stellt uns die Zimmerwirtin (diesmal zwar unter 80 Jahren, aber Oma isse schon) ihr Laptop zur Verfügung, wieder gerettet: 10.30 Uhr ist doch auch humaner.

Vor dem Rennen

Ist Durchfall vorm Rennen nicht unheimlich praktisch? Mal abgesehen von der Geruchsbelästigung der nachfolgenden Toilettenbesucher ist doch der Vorteil offensichtlich: jetzt ist von der Vortagespasta kein belastendes Krümelchen mehr drin, das Kampfgewicht am Berg ist optimiert. Aber eigentlich bin ich nicht froh drum, mit ist schlecht. Der Verstand sagt: Ich lebe doch nicht vom Radsport, eine muss doch den letzten Platz machen, und wenn ich das diesmal wäre, dann würde mich wenigstens Cosmas mal eine Weile mit Training in Ruhe lassen, vielleicht nicht mehr motzen, wenn ich nach dick Butter auch noch dick Käse aufs Brot schmiere.

Aber ach, was nützt der Verstand wenn sich andere aufgeregte Radler warm fahren, die sehen alle so bergtauglich aus, mit teurem, leichtem Material zwischen den Steckenbeinchen, eine Ziege nach der anderen, dünn und sehnig, braun gebrannt durch tägliche ungestüme Ritte über 4 Hauspässe. Und mittendrin die kleine dicke Reni, die sich nicht blamieren will. Daheim fühle ich mich nicht so massig. Also noch mal aufs Klo....

Cosmas stellt sich wie gewohnt ganz vorne auf, bei den Profis, oder welchen, die sich so fühlen und sicher mehr fürs Rad ausgegeben haben als diese. Teure Tuningteile glänzen im Sonnenlicht, Carbon schimmert allenthalben. Ich stelle mich nur wenig bescheidener einige Meter dahinter auf, 2 Radlängen hinter Karin Gruber, der Vorjahressiegerin, einer 45kg-Frau, so schätze ich. Daheim will ich mal ausrechnen, was ein Gewichtsunterschied von 17-18kg so auf 2000hm ausmacht. Neid lass nach.

Cosmas habe ich aus den Augen verloren, er erzählt mir später, er hätte noch Druckverlust im Hinterradreifen bemerkt, der schon mal mit Dichtmittel geflickt war. Ein Zuschauer hat ihm schnell noch mit einer Pumpe ausgeholfen, aber die für seine Schlauchreifen optimalen 10-11 Bar macht er lieber nicht mehr drauf.

Das Rennen

Der Startschuss. Eigentlich soll es neutralisiert bis zum ersten Anstieg gehen, wo auch immer der ist. Erst geht es leicht bergab, immer schneller, es wird gedrängelt und gekabbelt, das Tempo ist schon ordentlich hoch, wo, bitte, geht es zur neutralisierten Zone? Ich bemerke nichts davon, könnte auch nicht sagen, wo der reelle Start ist, ich rase in der Meute über schmale Sträßchen bergab, durch eine kleine Ortschaft, in die Kaunertaler Gletscherstraße hinein. Erst steigt die Straße nur wenig, aber schon drängen etliche Fahrer an mir vorbei, einen überhole ich schnell, weil der jetzt schon so verschwitzt duftet, dass ich meinen Magen wieder spüre.

Nach einiger Zeit drehe ich mich mal wieder nach hinten um. Hinten ist niemand zu sehen, vorne auch nicht, bin ich jetzt schon letzte? Oder wieder zu viel Knoblauch in der Pasta?

Der Rest an Gehirnmasse hört irgendwann im Rennen auch noch auf bewusst zu arbeiten, ab jetzt funktioniere ich nur noch mit einem kleinen Rest an Eigenkontrolle. Nur wenn wieder eine Kuh am Straßenrand besonders hübsch ist (und das sind die frei auf Straßen und Wiesen laufenden Kaunertaler Kühe oft), dann nehme ich die Umgebung wieder kurz wahr.

Eigentlich kommt cool [ku:l] natürlich nicht von Kuh, sondern von engl. 1. kühl, frisch 2. (bildlich) kühl, zurückhaltend, ablehnend, auch 3. kaltblütig oder eben 4. (Slang) prima, klasse. Aber ist so ein Zufall möglich? Gibt es etwas cooleres als eine Kuh?



Die Gletscherstraße ist sehr ungleichmäßig steil, es gibt lange Abschnitte ohne oder mit sehr geringer Steigung, an einer solchen bin ich gerade alleine und lasse meine Kuhgedanken schweifen. Da kommen von hinten 2 Leute, vorne wieder so ein sehniger Kerl und hinten eine sehnige (was sonst?) Frau, da hänge ich mich rein. Ein weiterer kommt von hinten dazu, so lässt es sich fahren, ich bin die geborene Windschattlerin. Eine Weile geht das ganz gut. Ich habe den Eindruck, die beiden vorne sind seit Kilometer 4 frisch verliebt, das Mädel wird beinahe rot, als ich frage, ob die beiden zusammen fahren. Oder hat sie was falsch verstanden? Sie meint (errötend), ja, es hätte sich so ergeben. Plötzlich erhebt sich mal wieder eine ernsthaftere Rampe, und ich meine, die Rampe vor der längeren, sehr starken Steigung vor dem Stausee zu erkennen, ich nehme etwas Druck vom Pedal und falle sofort zurück. Letztes Jahr war ich mit Cosmas einmal im Urlaub hier hoch gefahren, allerdings noch nicht mit der festen Absicht, hier das Rennen mit zu fahren. Aber ich wusste noch, dass ich diese Steigung lieber etwas ruhiger beginnen wollte, um nicht oben in meinen gefürchteten pfeifenden Hechelmodus zu fahren. Wenn einer vom Roten Kreuz das hören sollte, zerrt er mich vom Rad und stülpt mir die Sauerstoffmaske über. Leider habe ich mich getäuscht: nach der Rampe kommt erst wieder ein fast flaches Stück, so darf ich noch ein gutes Stück ohne Windschatten fahren, bis mein Angststück beginnt.

Es ist wie so oft mit der Angst: sie ist unbegründet, das heißt, irgendwann ist frau doch oben und später denkt frau nicht mehr daran, ob es weh getan hat. Nachdem die imposante Staumauer mit einiger Anstrengung passiert ist, liegt der See vor den Radlern wie aus einem Hotelprospekt. Hellblau, ruhig, von felsigen Gipfeln eingerahmt, allerdings kein Badesee auf 1772m Höhe. Noch flache 7km alleine oben am Stausee entlang bis die letzte, harte Steigung zur Gletscherstation beginnt, noch knapp 1000 Höhenmeter. Es ist doch schwer einzuschätzen, was frau sich zumuten soll. Wie intensiv kann ich fahren, ohne im letzten schweren Stück abzubauen? Die Strecke besser zu kennen, das wäre schon ein enormer Vorteil gewesen.

An den letzten 100 Metern der Flachstrecke holen mich 4 Fahrer in Shimano Teamkleidung ein, überholen mich und brausen so schnell durch eine kleine Baustelle, dass ich keinen Versuch unternehme, mich dran zu hängen. Als sie aber in die Steigung einfahren, bleiben sie scheinbar stehen. Jedenfalls fahre ich schnell auf, komme kaum vorbei, weil die jetzt nebeneinander fahren. Zudem überholt gerade ein Cabrio, ein Shimano-Mann ruft ihm schwäbelnd nach: „Derf i mitfahre?“, worauf ich ihn überholend belehre: „Mit dem Auto macht das hier hoch sicher keinen Spaß“. Einer der 4 Leute versteht aber keinen solchen und bekommt Panik, sich von einer Frau am Berg überholen zu lassen. Er zieht an, ich fahre stoisch mein Tempo, drei überholen reicht auch.

Ansonsten ist das Rennen in meiner Klasse ab hier eher wie ein Einzelzeitfahren, ab und zu trifft frau wieder jemanden, etwa den: mit dem MTB keuchend im Minigang die Serpentinen hoch, daneben (so oft es ging) ein Kleinwagen mit Mainzer Kennzeichen, Erfrischungen anbietend. Der Autofahrer hat zum Teil Schwierigkeiten, die niedrige Geschwindigkeit bergauf zu halten, man will die Kupplung ja nicht überstrapazieren. Kurz bevor ich den Bergfahrer (ist schließlich ein Mountain-bike) einhole, säuft der Begleitfahrzeugsdiesel ab, wird mit Schwung wieder angeworfen, danke, Stinker. Immerhin hat er mich gesehen und lässt mich vorbei, hoffentlich bin ich auch auf dem Video, das vom Beifahrer gemacht wird („und das ist die Stelle, wo unser Kumpel versucht, sich bei einem Mädel hinten rein zu hängen, hat zwar nicht lange geklappt, aber hört mal, wie er keucht!“).

Der ist bald hinten nicht mehr zu hören, dafür hab ich mit Marius aus dem Shimano-Team Hase und Igel gespielt. Erst überhole ich ihn doch, dann halte ich kurz an einer Labestation, um was zu trinken und den Becher zu entsorgen. Aber nach relativ kurzer Zeit habe ich ihn wieder und ziehe wieder in Zeitlupentempo vorbei. Dann habe ich eine Viertelstunde wohl nix mehr von ihm gesehen und gehört. Plötzlich taucht Cosmas – dessen Rennen schon seit ½ Stunde vorbei ist – bergab auf, bremst, wendet und fährt neben mich, fängt an, von seinem Rennen zu schwatzen, dass alle Mädels vor mir viel jünger seien und dass ich gleich oben wäre. Kaum zu glauben, aber anscheinend bin ich etwas angegriffen, ich empfinde zuhören schon als Anstrengung. Ich bitte Cosmas mit angemessenen Worten um Ruhe („Schnauze, bitte!“) und fahre mein Tempo.

Die Serpentinen sind von 29 unten bis zur letzten vor dem Gletscherrestaurant nummeriert, ich komme auf die 1 zu, der aufgeblasene Zielbogen rückt näher, ein Fotograf kniet und knipst alles, was vorbei kommt, da kommt doch Marius aus dem Nichts und versucht einen Zielsprint! Ich gebe alles, beschleunige auf geschätzte 14km/h und verliere den Sprint knapp aber deutlich. So'n Schwein! Ups, na, das ist mir natürlich nur so rausgerutscht im ersten Moment. Aber ein Muffel ist er mindestens. Kein Wort hab ich von dem gehört. Ich bin auch beim Rennen eine alte Schwatztante. Gerade im ausgedünnten Feld kann ich nicht an jemandem vorbei fahren, ohne eine Bemerkung über Wetter, Steigung oder Kühe zu machen. Na ja. Die Leute sind eben verschieden.

Jedenfalls bin ich im Ziel, heil und lebendig, und kann der letzten Labestation dort isotonisches Getränk nachfüllen und ein kleines Stück Kuchen essen. Das schönste am Rennen ist, es hinter sich zu haben. Cosmas hat 1 Stunde 47 Minuten gebraucht, ich habe mich schon länger angestrengt: 2:25. Von möglichen Platzierungen wissen wir noch gar nichts, es gibt ja immer die Möglichkeit, wenigstens in der Altersklasse Glück und wenig Konkurrenz zu haben. Allerdings war ich wenig hoffnungsvoll, ich hatte schon 3 oder 4 Frauen an mir vorbei ziehen sehen, wer weiss, wie viele ich nicht gesehen habe...

Es gibt Pasta im Gletscherrestaurant, und wir haben unsere Gutscheine dafür nicht im Zimmer in Landeck vergessen! Ich kenne uns, deshalb nenne ich das Glück. Ich nehme an, ich sollte was ordentliches essen, hole mir die Nudeln mit Gorgonzolasosse, und kriege kaum was runter, schade. Das kenne ich gar nicht, vielleicht sollte Brigitte die nächste Frühjahrsdiät auf 2751m Höhe empfehlen, ich habe dort jedenfalls keinen Appetit.

Siegerehrung

Die Siegerehrung findet mit einigem Aufwand (professioneller Sprecher, ständig wechselnde, aufpeitschende Popmusik, regionale Honoratioren) im hinteren Teil des Restaurants statt. Traxl, der Vorjahressieger aus der Region hat auch dieses Jahr gesiegt. Allerdings kein Wunder, ein Kumpel von ihm meint: „Ja, der tut nix anderes als radeln.“ Ein Profi wie wahrscheinlich auch die erste Dame, Karin Gruber, jedenfalls tut die auch nix anderes als Bergrennen gewinnen, wie die Suche im Internet zeigt.

Für Cosmas
hat es diesmal leider nicht für einen Platz auf der Treppe gereicht, 8. Platz insgesamt und 6. Platz seiner Altersklasse ist für alle, die nicht Cosmas heißen, auch was schönes. Wieder mal überraschend werde ich als 2. Dame der Altersklasse W40 (oh Segen des Alters, wie habe ich mich auf die 40 gefreut!) aufgerufen, Glücksfall! Küsschen von männlichen Honoratioren, Händedruck der Damen, rauf aufs Treppchen. Ich warte mit der drittplazierten auf die Siegerin. Janett C. wird angesagt, es gibt eine kurze Verwirrung, Lachen, dann soll ich auf Platz eins aufrücken. Es dauert ein wenig, dann hab ich es auch kapiert: Der Janett C. will nicht als Dame aufs Podest, er meint, es ist sicher ein Irrtum. Das überzeugt, ich kriege meinen Pott getauscht, einen Blumenstrauß in die Hand gedrückt, Fotos werden gemacht, die dritte freut sich sicher auch...




Hier die Ergebnislisten

Cosmas' Rennen

Veranstalter-Bilder von den Siegerehrungen

Schöne Beschreibung der Kaunertaler Gletscherstraße mit Bildern bei quaeldich.de

Reni Putz