Neues aus dem Osten oder: kulinarisches Wintertraining

Reni und Cosmas hatten die letzte Woche von 21.-28.November frei und beschlossen, dies zur kulinarischen Erkundung der östlichen Hälfte Deutschlands zu nutzen.

Munter fraßen wir uns mit kleinem Gepäck also im Zickzack-Kurs, immer den interessantesten Mittelgebirgsbezeichnungen in der Shell-Karte folgend, von Mainz bis über die tschechische Grenze hinaus und wieder bis Bayern zurück, vertilgten unterwegs regionale Köstlichkeiten wie Thüringer Rumkugeln und Böhmische Knödel und kurbelten zwischen den Mahlzeiten einige Kilo- und Höhenmeter hinunter, damit die Kilo-Gramm nicht allzusehr überhand nahmen.

Was gibt es doch für schöne Landstriche in Deutschland! An den unerwartesten Punkten, wo eben noch massenhafter Last- und Personen-Stinkverkehr röhrte, biegt man mal kurzerhand in ein kleines paralleles Sträßchen ein und glaubt seinen Augen kaum zu trauen, wie ruhig und einsam und überaus idyllisch es da auf einmal ist. Manchmal ging uns regelrecht "das Herz auf", wir mussten mehr als einmal anhalten, um die tollen Ausblicke und die Ruhe noch besser auskosten zu können.

Das Wetter war zwar nicht immer optimal, mit geeigneter Kleidung jedoch immer erträglich, an zwei, drei Tagen sogar wunderschön sonnig, nur am 2. und am letzten Tag regnete es, was die Entscheidung, samstags in den Zug zu steigen, erleichterte.

Bilder gibt's leider keine eigenen, da ich kurz vor der Abfahrt bemerkte, dass die Kamera-Batterie alle war und den Apparat dann einfach da ließ - was ich schon bald bereute. Hier für alle Daheimgebliebenen trotzdem ein kleiner Bericht zum Neidischwerden mit "geliehenen" Bildern aus dem Internet, soweit sie halbwegs passen (leider manchmal in der falschen Jahreszeit). Achtung, die Rechte liegen ausdrücklich bei den jeweiligen Fotografen, die aber nicht immer auszumachen waren.

Sonntag, 21. Mainz - Nidda am Feldberg vorbei

Herrliches Sonnenwetter, wir fahren unsre "Taunusrunde" bis Bremthal/Eppstein und dann über Kröftel Richtung Feldberg weiter, ab 500m Höhe hat's Schnee neben der Straße, die aber trocken bleibt. Den höchsten Punkt passieren wir vor Schmitten mit 610m.

Im Taunus kaum Verkehr, aber zwischen Schmitten und Friedberg, wo’s noch einige Male auf und ab geht, dann merkwürdigerweise eklig viel - zum Glück waren wir mit Rückenwind bald vorbei. Obwohl wir erst 1/2 12 los sind, schaffen wir, da wir ohne längere Pausen durchfahren, 110 km bis Nidda und finden dort direkt ein brauchbares Hotel (das mit 72 Euro für's DZ auch das teuerste der Reise bleiben wird).

Montag, 22. Nidda - Fulda über den höchsten Punkt des Vogelsbergs

Natürlich möchte ich nochmal zum "Höhepunkt" des Schottener Bergzeitfahrens, dem Hoherodskopf (760m), diesmal aber auf einer anderen Strecke. Wahrscheinlich sehr schöne Landschaft, leider sehen wir wegen dichten Nebels und später Nieselregen nix davon. Der Aufstieg ist auch von dieser Seite recht ordentlich, da ich nur 39/27 als kleinsten Gang habe und darum etwas schneller fahren muss, verliert mich Reni im Nebel rasch aus den Augen.

Null Verkehr, auch später bei der Abfahrt und in den Vogelsbergausläufern nicht, aber mit ständig Regenjacke an und wieder aus kommt zunächst keine rechte Freude auf. Die letzten 30 km vor Blankenau und Fulda dann aber äußerst idyllische, ländliche Straßen und wieder Rückenwind bei kaum noch Regen, und da es mit 5-9 Grad eher warm ist, frieren wir auch nicht. Wir beschließen, früher als sonst schon um 14:00 in Fulda für heute Schluss zu machen. Unterkunft finden wir nach Metzger/Bäckerpause (wo uns bei der Frage nach einem herzhaften Käse von der Verkäuferin "Butterkäse oder Emmentaler" angeboten wird L) im noblen Hotel "Peterchens Mondfahrt" - für 63 Euro im 98-Euro-Zimmer, da der Leiter des Hotels meint, wenn wir bei dem Wetter mit dem Rad gekommen seien, hätten wir das beste Zimmer mehr als verdient! Abends machen wir einen kleinen Stadtbummel zu Fuß, ganz entgegen unsrer Gewohnheiten.

Dienstag, 23. Fulda - Unterschönau am Rennsteig über die Kuppige Rhön

Zunächst regnet es noch, so kommen wir erst 11 Uhr los, später aber wird das Wetter immer besser. Nach ätzender Ausfahrt aus Fulda Richtung Künzell (der Heimat Patrik Sinkewitz')/Petersberg biegen wir von der Bundesstraße auf eine kleine "gelbe" Straße ab, und wieder wird es zunehmend ruhiger und schöner.

Nach Tann in der Rhön verpassen wir die richtige Straße Richtung Ex-DDR, nehmen dann eine "Abkürzung" etwas später über eine Innerortsstraße, die wie eine Sprungschanze (später gibt's dann richtige...) senkrecht nach oben führt - geschätzte 18%, gefühlte 25. Aber was für ein Ausblick! Und was für eine Stille!

Nach der Überquerung des "Todesstreifens" auf ca. 600m, der sich von einem Horizont zum andern als kahle Schneise durch den Wald zieht, geht es entsprechend wieder runter, dann flach durch leicht hügelige Landschaft bis kurz vor Schmalkalden, wo der Verkehr plötzlich anschwillt. Die Altstadt aber ist schnucklig, äußerst gut erhalten und mit einem sehr netten Menschen im Tourismusbüro ausgestattet, der uns eine günstige Unterkunft in Richtung zum Rennsteig heraussucht, da wir noch etwas weiter wollen. Dorthin fahren wir dann schon im Dunkeln, abends auch nochmal 3 km nach unten zur standesgemäßen Einkehr (ich werde schwach und bestelle Wild, wie soll man auch nicht, wenn sämtliche Wände sich unter Geweihen biegen). Die Leute hier sind eher wortkarg, nicht unfreundlich, aber es fehlt die im "Westen" oft künstlich antrainierte "Kundenfreundlichkeit". Auf dem Rückweg um 22 Uhr schmiert Reni das Rad weg - ist doch etwas glatt geworden! Ab jetzt sind wir vorsichtiger, und Renis Hintern etwas blauer.

Mittwoch, 24. Unterschönau - Uhlstädt an der Saale über den Rennsteig

Wir fahren sehr vorsichtig bergauf, es ist schwer zu erkennen, wo die Straße nur nass und wo gefroren ist. Aber der Weg ist nicht sehr steil, kaum Verkehr, so kommen wir ruck-zuck an zwei gigantischen Skisprungschanzen vorbei auf dem Rennsteigkamm auf 800m an, wo ich erstmal meinen teuren Hügi-Freilauf neu schmieren muss, der Probleme macht. Renis alte Schraubkranznabe muckt dagegen nicht... Oben Sonne, verschneiter Tannenwald und unglaublich klare Luft bei trockenen -2 Grad - herrlich! Ungefähr hier hat der selige Geheimrat Goethe seine berühmten Zeilen "Über allen Gipfeln ist Ruh'" geschrieben, und man kann es direkt nachvollziehen. Da im hier herrschenden Winter auch keinerlei Vögel zwitschern, ist es wirklich fast unheimlich still.

Hinter Oberhof, dem alten und neuen deutschen Zentrum des Wintersports, das gerade jetzt aber eine kleine Verschnaufpause zwischen Herbstwanderern und Skifahrern einlegt, fahren wir auf kleinen Straßen immer den Rennsteig entlang, etwa alle 20-30 Minuten tuckert ein Auto vorbei, und kommen dabei auf 942m - Rekord, höher geht's hier nicht. Bei der Pause in einem realsozialistisch aussehenden, aber sehr feinen Café sehen (und essen) wir die größte und leckerste Rumkugel, die uns je begegnete (eine zweite haben wir mit nach Hause gebracht...). Offenbar hat sich der Küchenchef bei Form und Größe an den ebenfalls sehr guten Thüringer Klößen orientiert, die wir als "Vorspeise" nehmen.

Die Abfahrten nehmen wir etwas langsamer als sonst, aber dann friert man auch nicht. Wir verfahren uns auf wunderschönen kleinen Straßen ohne jeden Verkehr zweimal, ohne dass es groß stört, gelangen entlang der Katz nach Katzbach, von dort zum gewundenen Schwarzatal, in dem wir mit Rückenwind flott vorankommen und den Schnitt bis Rudolstadt/Saale hochtreiben, wo dann deutlicher Verkehr beginnt. Da bisher offenbar vergessen wurde, die im Westen sonst meist üblichen "Fahrrad verboten" bzw. "KFZ-Straße"-Schilder an der 4-spurigen Straße aufzustellen, kommen wir aber auch hier schnell und problemlos durch. Wieder suchen wir unser Quartier im Dunkeln, diesmal, da alle Zimmer durch zugereiste Arbeiter auf einer Riesenbaustelle belegt sind; aber ein Privatzimmer für 42 Euro findet sich dann doch noch, und das Essen im "Goldenen Ross" wäre auch was für Feinschmecker und ist dabei weiterhin günstig.

Donnerstag, 25. Uhlstädt - Morgenröthe-Rautenkranz im Vogtland über Thüringer Holzland und Erzgebirge

Die "Königsetappe" und zusammen mit gestern auch die schönste. Nach Bundestraße bis Kahla (der erste Autofahrer, der uns wegen Radwegs anmacht - wo auch immer der sein soll) Aufstieg an der Leuchtenburg mit Klasse Panorama vorbei ins Thüringer Holzland. Sonne und gute Luft. Durch idyllische Dörfchen geht's flott gen Osten, dann auf eine etwas langweilige Hochebene und an der nicht so interessant wirkenden Industriestadt Weida vorbei (10% abwärts, 10% schnurgerade rauf); wir biegen kurzentschlossen in Wildetaube (netter Name!) ab, und eine völlig andere Welt zeigt sich: einzelne Höfe und Mühlen verstecken sich am Bachufer zwischen kleinen Wäldchen, die Straße führt munter links und rechts, rauf und runter, man hört nichts als das Plätschern des Baches.

Nach Greiz hinein gehören leider 2 bergige km Kopfsteinpflaster dazu - trotzdem schön. Nach bereits etablierter mittäglicher Bäckerpause geht's ähnlich abwechslungsreich weiter, so fahren wir vor Mylau staunend unter der - wie wir erst später herausfinden - größten Ziegelbrücke der Welt hindurch, der 570m langen und 78m hohen Göltzschtalbrücke (http://www.goeltzschtalbruecke.de oder http://www.alaunwerk.de/goebrue1.htm ), durch alte Städte, die schon bessere Zeiten gesehen haben, wie viele leerstehende Fabriken und Wohnhäuser belegen, und trotzdem gibt es immer wieder auch sehr schöne, liebevoll restaurierte Gebäude oder eine beeindruckend aufragende Backsteinkirche, wie man sie sonst wesentlich weiter im Norden erwarten würde. Bald geht es noch einmal richtig rauf, wir fahren ins Vogtländische Erzgebirge und finden wieder um 17:00 eine gute Unterkunft auf 650m. Macht für heute immerhin 120km und 1420 Höhenmeter. Zuhause in Mainz finde ich später eine alte Tour-Ausgabe, in der der frühere Radprofi Jan Schur seine Lieblingstouren im Vogtland vorstellt, die sich zu einem guten Teil mit unsrer heutigen und der morgigen Route decken.

Freitag, 26. Morgenröthe - Wiesau / Oberpfalz

So langsam wollen wir die Kurve in Richtung Heimat kriegen. Dazu fahren wir jetzt erstmal gen Süden, über einen weiteren Erzgebirgspass (max. 860m) nach Klingenthal runter, dem Erzgebirgischen Wintersport- und Musikinstrumentezentrum, und nehmen eine Abkürzung über die tschechische Grenze. Das Wetter ist heute nicht so gut, diesig und neblig, und so sind wir unten an der Grenze schon ziemlich durchgefroren. Als wir an der Grenze einfach durchrollen wollen, da wir den Wink der Zollbeamten so verstanden haben, werden wir barsch angehalten: "Passport!" Bitte schön. Jetzt kommt erstmal Kraslice, ein Braunkohle-Dunst-verhangenes Industriestädtchen, das nicht gerade zum Stadtbummel einlädt. Alle Negativ-Vorurteile über "den Osten" erfüllen sich hier scheinbar. Wir fahren möglichst schnell auf schlaglochübersäten und unzureichend gestreuten Straßen wieder raus auf eine perfekt asphaltierte Bundesstraße, die - bis auf deutsche Benzin- und Zigarettentouristen - kaum befahren ist. Trotzdem beschließen wir, von der gut rollenden Straße auf eine kleine Nebenstrecke abzubiegen, in der Hoffnung, dort ausser Industrieleichen und verfallenen Plattenbauten auch andere Eindrücke zu bekommen.

So ist es dann auch: wie schon bei Weida im Vogtland gelangen wir unmittelbar in wunderbare, versteckte Täler, fahren auf Waldwegen ähnlichen Sträßchen durch gottverlassene kleine Nester, wo der einzige Verkehr aus einem ärmlich gekleideten Mann mit einem reparaturbedürftigen Schubkarren besteht. Reni schlägt das trotz der schnuckeligen Landschaft auf die Laune. Bald sind wir in einer sich langsam absenkenden, kaum besiedelten Heidegegend angekommen, es wird eher bedrückend menschenleer als idyllisch und ausserdem (gegen-) windig. Die Ausschilderung der Landstraße ist dürftig; statt großer Schilder gibt's erstaunlicherweise kleine Radrouten-Hinweise, die aber (wohl aus Deutschland übernommene Sitte) statt Zielen nur Nummern tragen.

Über immer kleiner und dann auch hoppeliger werdende Wege gelangen wir endlich, ohne irgendjemandem zu begegnen, nach Cheb/Eger, essen direkt am fotogenen Marktplatz fürstlich zu Mittag, und rauschen dann zurück nach Deutschland, in diesem Fall Bayern.

Bayern empfängt uns mit zweierlei Unbill: erst mal geht es wieder los mit Radwegen entlang jeder Straße, die dem Radreisenden das Leben schwer machen. Entweder man hoppelt ständig von einer Seite auf die andere, quert also die ach so gefährliche Straße, vor der man doch durch den Radweg "geschützt" werden soll, und landet dann alle 2 Kilometer auf irgendwelchen Bordsteinen in Ortschaften; oder man läuft eben Gefahr, ständig angehupt oder gar abgedrängt zu werden. Wir entscheiden uns trotzdem für letzteres, und zumindest jetzt im Winter scheinen die Autofahrer ein Einsehen zu haben.

Das zweite Unangenehme ist zunehmende Feuchtigkeit und Nebel, die dazu führt, dass es heute bereits um 16:30 stockdunkel ist. So suchen wir nicht mehr lange, sondern kehren in Wiesau etwas früher als sonst ein.

Samstag, 27. Wiesau - Speichersdorf - Mainz

Die Feuchtigkeit setzt sich mit Niesel- und später stärkerem Nebel fort. Auch ist die Landschaft jetzt - wie meist in Bayern - eher langweilig, sanft gewellt und großformatig, ganz anders als der winkelige Fitzelkram in Rhön, Thüringen, Vogtland oder gar Tschechien. Über Erbendorf und Kemnath fahren wir noch bis zum nächsten größeren Bahnhof in Kirchenlaibach bei Speichersdorf, kaufen dort beim Bäcker ein - schon kommen wieder die automatenhaften "Schönen Tag noch! Und gute Weiterreise!", aber das Angebot ist nicht besonders, die Höflichkeit nicht überzeugend - und fahren dann gemütlich via Nürnberg (nochmaliger Einkauf) und Aschaffenburg nach Hause.

Im Zug Begegnung mit einem kontaktfreudigen Mountainbiker, der sich unsern begeisterten Bericht anhört und dann meint, er sei jetzt auf Teneriffa gewesen und bedauere es so, da sei ja so ein Autoverkehr gewesen...

Epilog

Wir haben in den 6 1/2 Tagen wunderschöne, weitgehend unverfälschte Landschaften mit wenig Verkehr erlebt, interessante Ortschaften gesehen und praktisch nur nette Menschen getroffen. Als Fazit bleibt: das werden wir noch öfter machen!

Radreisen im Sommer haben wir ja schon immer unternommen, im Winter bisher aber weniger. Doch vernünftige Kleidung vorausgesetzt (gar nicht mal so viel: lange Hosen und Radjacke mit Front-Windschutz, dicke Socken und Überschuhe), macht's bei Temperaturen zwischen -2 und 6 Grad genauso viel Spaß. Wenn man erstmal 5 Minuten warmgefahren ist, kommt Frieren gar nicht mehr in Frage. Nur längere Picknicks im Freien sind nicht der Renner, statt dessen fasst man sich kurz oder sucht gleich eine der (ausser in Tschechien) reichlich vorhandenen Bäckereien auf. Das Gepäck für zwei Personen hatte bequem Platz in 2 kleinen Ortlieb-Packtaschen, die am Rennrad-Gepäckträger transportiert wurden; je eine Lenkertasche, auf denen auch die Straßenkarte (3 Stück für die komplette Strecke) deponiert war, nahmen Riegel und die selten benötigte Regenjacke auf.

Als "Nebeneffekt" haben wir auch noch optimales Grundlagenausdauertraining gehabt und in der Woche gut 650 km zurückgelegt, dabei 7300 Höhenmeter bewältigt und viel frische Luft eingeatmet.

Oder andersrum: optimales Trainingslager als Einstieg für die neue Radsaison! Mit Gepäck fällt es auch leichter, sich am Berg etwas zurückzuhalten...
Cosmas Lang